[Triggerwarnung: In diesem Post reden wir u.a. aus eigener Erfahrung über die Themen Panikattacken und Angsstörungen.]
❝ Die psychische Gesundheit ermöglicht uns, das Leben zu genießen und gleichzeitig Schmerzen, Enttäuschung und Unglück zu überwinden. Sie ist eine positive Lebenskraft und ein tiefer Glaube an unsere eigene Würde und unseren Selbstwert.(1) ❞
Psychische Gesundheit ist also sehr, sehr wichtig um unseren Alltag mit all den zugehörigen Höhen und Tiefen zu bewältigen. Dennoch gibt es auch wie bei der körperlichen Gesundheit verschiedene Erkrankungen, die die psychische Gesundheit schwächen. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Angststörungen (4).
Eine Art von Angststörungen ist die Panikstörung oder auch bekannt als Panikattacken. Dies sind Angstanfälle, die ganz plötzlich ohne jegliche Vorahnung eintreten. Heute möchte ich gerne mal von mir und meinen Panikattacken erzählen und dadurch hoffentlich das Thema zugänglicher und sichtbarer gestalten.
DU bist ein Teil von mir.
Also irgendwie bist du immer da, wo ich bin und irgendwie auch nicht. Du bist ein Teil von mir: meine Panikattacken. Ich weiß nicht, warum du mich manchmal besuchst oder gar, wie lange du bleibst.
Anfangs, bei meiner ersten Attacke, dachte ich, es gäbe eine klare Ursache für dieses Gefühl und all diese Qual. Ich erinnere mich noch so klar an diese ganze Situation: Eigentlich saß ich gerade ganz gemütlich auf dem Sofa, habe den Rest Nudelauflauf aus der Form gegessen und dabei Ferngesehen. "Medical Detectives" lief - wer mich kennt, weiß wie sehr ich True Crime und Co liebe. In der Sendepause habe ich umgeschaltet und merkte, wie es mir urplötzlich gar nicht gut ging. Zunächst dachte ich, ich hätte vielleicht zu schnell gegessen, weil mir plötzlich so schwindelig und fast schon schwarz vor Augen wurde. Mein Puls erhöhte sich schlagartig.
Zum Glück war mein Freund zu Hause. Ich rief ihn und er kam prompt. Habe mich mehrmals lautstark wiederholt wie schlecht mir ist und wie schnell mein Herz schlägt und ich nicht weiß, was lost ist.
Ich fing aus dem Nichts an zu weinen, hatte innerlich einfach nur Angst zu sterben.
So begann ein innerer Konflikt mit mir: Teile ich diese Gedanken? Hält er mich für verrückt? Wird es mir ernst nehmen, was ich sage und fühle? Mein Freund und ich sind sehr lange zusammen und Ehrlichkeit ist eigentlich unser höchstes Gebot. Ich weiß, dass ich ihm alles sagen kann, aber in diesem Moment wollte mein Innerstes das nicht wahrhaben.
Kein Gedanke war so klar für mich wie der, dass jetzt alles vorbei sein wird! Es fühlte sich alles so surreal an. Als mein Freund mich dann umarmte fing ich doch unkontrolliert an zu reden - wie ein Wasserfall. Es sprudelte nur so aus mir raus: "Ich hab so Angst! Was ist, wenn ich jetzt sterbe? Ich habe mich noch nie so schlimm gefühlt"
Er bot mir an den Krankenwagen zu rufen. Doch ich konnte nicht nichts tun und warten. Jede Sekunde in der nicht geredet wurde war bereits eine einzige Qual. Denn dann waren wir alleine, meine Panikattacke und ich. Ich konnte nicht einfach warten. Daher sagte ich, dass ich selbst hingehen möchte. Mein ganzer Körper fühlte sich ohnehin so an, als würde ich einen Marathon laufen. Selbst meine Beine zitterten, als wollten sie mir sagen "Los, lauf jetzt."
Mit dieser inneren Unruhe und dem notwenigen Tatendrang sind wir dann mitten in der Nacht zum Krankenhaus gelaufen. Ganze fünf Kilometer. Jeder Schritt, den ich ging, tat mir gut, da ich mich auf diesen konzentrieren konnte. Angekommen wurde direkt am Empfang mein Puls gemessen: er lag bei 156 Schlägen pro Minute. Da sich alles so surreal anfühlte, war es irgendwie beruhigend zu wissen, dass ich mir das nicht eingebildet habe. Aufgrund des erhöhten Herzschlags, wurde ich sehr schnell untersucht. Doch in der anstehenden Untersuchung konnte keine Ursache für mein Leid gefunden werden. Ich erhielt abschließend die Empfehlung eine kardiologische Praxis aufzusuchen und mein Herz genauer untersuchen zu lassen.
Doch auch mit einem mehrwöchigem EKG und kardiologischer Behandlung kam kein Ergebnis für die Ursache zustande. Zwar konnte man meine unterschiedlichen Herzfrequenzen sichtbar machen, jedoch wies nichts auf eine Herzrhythmusstörung oder ähnliches hin. "Zum Glück" dachte ich einerseits. Denn mein Herz war damit vollkommen gesund. Etwas, da ich mir fortan immer selbst zur Beruhigung sagen konnte, wenn ich wieder eine Panikattacke hatte. "Ich werde nicht sterben, meinem Herzen geht es doch gut! Ich bin gesund!"
Dennoch wollte ich die wahre Ursache kennen. Zumal ich nach dem ersten Vorfall mehrere hatte und mich stetig die Angst vor einem erneuten Ereignis begleitet hat. Ich hatte Angst, Angst vor diesem Gefühl und dieser Hilflosigkeit. Da meine Kardiologin im Anschluss vieler Termine und Untersuchungen meinte, es könne auch psychische Ursachen haben, habe ich mich genauer damit beschäftigt.
Um diesen "Zustand", von dem ich bis dato nicht wusste, was es ist, zu vermeiden, habe ich alles aus den Situationen, in denen er eingetreten ist vermieden. Habe so bspw. weder Nudeln gegessen, noch Medical Detectives geschaut - aus Angst es könne irgendwie damit zusammenhängen. Lange habe ich mich das nicht getraut mir einzugestehen. Habe mir eher selbst etwas vorgemacht, dass ich da einfach nur keine Lust drauf hätte. Und irgendwie scheint es funktioniert zu haben.
So lange hatte ich kein wirklich krasses Erlebnis mehr mit dir, dass ich nicht schnell in den Griff bekommen habe. Knapp über ein Jahr lang. Und doch hat mich die Angst vor dir jeden Tag begleitet. Dann wurde es weniger und ich glaubte fest, ich hätte dich im Griff. Und dann wie aus dem Nichts wurde ich eines Besseren belehrt.
Letzte Woche Donnerstag war es wieder so weit. Ich befinde mich auf einer Behandlungsliege in einem Kosmetikstudio mitten in Berlin. Ein Kosmetikstudio ist zwar ein eher unüblicher Ort für mich, dennoch nichts aufregendes, dass ich mich hätte unsicher fühlen müssen.
Ich liege also da – nichtsahnend. Und dann bist du plötzlich da: Mein Puls schlägt wieder so schnell und laut. Wie ein Blitz schlägt jeder Herzschlag in meinem Kopf ein. Mein ganzer Körper pulsiert mit. Ich merke, wie meine Gliedmaßen weich und unsicher werden; sich wie elektrisiert anfühlen. Alles an mir zittert und ich habe plötzlich das Gefühl: Egal, wie oft ich einatme keine Luft zu bekommen. Eine ganz unangenehme Kälte macht sich in meinen Händen und Füßen breit. „Was ist bloß wieder los mit mir?“, schießt es in meine Gedanken. „Luft, ich brauche Luft!“ Da ich eine Wimpernbehandlung bekam, konnte ich nicht mal die Augen öffnen, um mich visuell abzulenken und auf mein Umfeld zu konzentrieren. „Was mache ich denn jetzt?“ Hilflosigkeit machte sich in mir breit.
Da waren also nur du, meine Gedanken und ich. In meinen Gedanken geht es um Leben und Tod. "Wie teile ich mich jetzt mit, kann ich das erklären, was gerade in mir vorgeht?!" Mit zitternder Stimme und tiefen, bewussten Atmern zwischen jedem Wort sage ich „Entschuldigung, ich glaube mir geht es nicht gut!“ Parallel dazu kreisen meine Gedanken darum, was ich mache, wenn ich aus dieser Situation nicht mehr rauskomme. „Oh man ist das peinlich!“ „Was denkt die Kosmetikerin denn jetzt von mir?“ entgleist es meinen Gedanken. Bin den Tränen so nah. „Ist es bald vorbei mit mir? Vielleicht wär das gar nicht so schlecht. Will aber nicht, dass es vorbei ist.“ Ich verliere mich in den Gedanken. Fühle mich hilflos und alleine – gefangen in meinem eigenen Körper. Mir wird so schwindelig davon, fast schon übel. Mir wird so flau im Magen und jeder negativer Gedanke gewinnt mehr und mehr Macht über mich. Doch ich weiß, dass das alles nur du bist. Du und meine Gedanken.

„Ich schaffe das!“, ermutige ich mich selbst. „Du weißt, dass du gesund bist, dir kann nichts passieren. Du bist hier sicher!“ Doch fühle ich mich zugleich so unsicher, so schwach. Möchte gerne aufstehen, am liebsten einfach losrennen. Mit Unterstützung setze ich mich auf und versuche ruhig ein- und auszuatmen. „Was mache ich hier? Wie erklär ich das jetzt?!“ Versuche währenddessen die Luft die in meine Lunge strömt wahrzunehmen, um die Kontrolle über meine Gedanken zurückzugewinnen und mir zu beweisen, dass doch genug Luft da ist. Fasse mir ins Gesicht, um zu fühlen, dass ich noch da bin. Lege die rechte Hand auf meine Brust, um zu fühlen, dass mein Herz noch schlägt. Atme tief ein und wieder aus.
Ich werde aus meinem Gedankencaroussel gerettet und gefragt, ob ich etwas Musik hören oder einen Tee trinken möchte. „Ja, bitte!“ Ich war so dankbar dafür. Habe versucht mich auf die Musik zu konzentrieren, auf das warme Gefühl der Tasse Tee in meiner Hand. Und doch waren meine Gedanken noch nicht wieder bei mir.
Ich würde so gerne jemanden anrufen, der oder die meine Panikattacken, und mich kennt, dass ich einfach darüber reden kann und mir eine vertraute Stimme sagt, dass alles gut wird. Doch ich sitze mit geschlossenen Augen, in einem unbekannten Raum mit mir fremden Menschen. Mein Herz klopft immer noch so schnell und laut. Alles fühlt sich an wie in Zeitlupe. So viele Gedanken schießen an mir vorbei und fühlen sich fremd und vertraut zu gleich an. „Das muss doch endlich aufhören, das ist nicht real!“
Ich kämpfe, ich kämpfe mit mir selber. Ich versuche mich bewusst auf einzelne Aspekte zu konzentrieren. Versuche meine Beine, die so sehr zittern und von der Liege baumeln gezielt anzusprechen: „Alles ist gut, beruhigt euch! Bleibt ganz locker!“ Währenddessen wippe ich mit den Füßen abwechselnd auf und ab. Fordere innerlich meinem mein Herz auf, langsamer zu schlagen. „Es gibt keinen Grund dafür.“ Doch zugleich fühle ich mich auf so vielen Ebenen überfordert.
„Ist es besser?“, reißt mich die Kosmetikerin aus meinem Entspannungsritual. „Ja, danke“, erwidere ich – viel mehr um mich selbst zu überzeugen, als wirklich eine Besserung zu erstatten. Sie fängt nach einer kurzen Pause an zu erzählen: „Ich kenne das. Ich kann nicht mit Fahrstühlen fahren.“ Eine Riesen Last fällt in diesem Moment von mir ab. Sie gibt mit ein Gefühl verstanden zu werden. Habe so wenig gesagt, und doch kann sie sich vorstellen, was ich fühlen mag. In dem Moment war mir klar, dass mir das nicht peinlich oder unangenehm sein muss, sondern ich mir jetzt bewusst die Zeit nehmen kann, mich und meinen Körper zu beruhigen. Genau das habe ich gebraucht: Ich bin nicht mehr alleine - alleine mit dir. Es gibt mir Kraft. Kann mich endlich auf alles konzentrieren und schaffe es, mich nach und nach zu beruhigen. Bis wir schlussendlich die Behandlung abschließen können und ich diese erneute, überraschende Begegnung mit dir hinter mir lassen kann.
Auch wenn meine Panikattacken offenbar doch noch ein Teil von mir sind, möchte ich in Zukunft offener damit umgehen. Diese jüngste Panikattacke hat mit wirklich gezeigt, wie wichtig es ist, mit anderen über die mentale Gesundheit zu sprechen und dass es einem nicht unangenehm sein muss.
Wir sind nicht alleine. Sich zu öffnen und Hilfe zuzulassen, kann so gut tun!
In beiden Panikattacken, die ich hier anspreche: Meine Erste und meine Letzte, war ich so dankbar und glücklich, dass jemand da war. Beide haben mich und meine Gefühle ernst genommen ohne irgendwas zu hinterfragen.
Genauso sollten wir auf der Gegenseite ähnliche Situationen immer ernst nehmen, nichts herunterzuspielen, sondern versuchen anderen mit Respekt zu begegnen und ihre Ängste oder Probleme verstehen lernen.
In jedem Fall hoffe ich sehr, dass euch meine Geschichte und meine Panikattacken irgendwie helfen können besser mit euren umzugehen oder auch zu wissen, wie man andere in einer solchen Situation unterstützen kann. Mir selbst hilft es grundsätzlich auch immer mehr darüber zu reden oder auch mit und mein Leben zu reflektieren. Daher ist auch unser Workbook mein täglicher Begleiter und ich habe es nicht umsonst mehrfach ausgefüllt. Man darf natürlich nicht vergessen, dass das dennoch sehr individuell ist, jedoch hat mit dieses Aufschreiben und Ernstnehmen von anderen sehr geholfen.
Mehr zum Thema findet ihr auch auf unserem Instagramaccount @melationship.de - dort könnt ihr uns auch gerne jederzeit Fragen oder eure eigenen Erfahrungen mit mentaler Gesundheit oder sogar konkret Angststörungen und Panikattacken berichten.
Alles Liebe
Leah
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Zahlen & Fakten
Wusstest du....

... dass etwa 2–3 % der Bevölkerung an einer Panikstörung leiden? Die Ursache ist vermutlich eine Kombination aus genetischen und psychosozialen Faktoren. (2)
... dass be Frauen Panikstörungen doppelt so häufig wie bei Männern diagnostiziert werden? (2)
... dass während psychische Erkrankungen vor 20 Jahren noch nahezu bedeutungslos waren, sie heute die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeit sind? (3)
... dass in Deutschland jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen sind (4) und schätzungsweise 15 % der Bevölkerung unter irgendeiner Form von Angststörung leiden? (2)
Quellen:
(1) http://respiratio-coaching.de/wp-content/uploads/2013/07/Faktenblatt_psychische_Gesundheit.pdf
(2) https://deximed.de/home/klinische-themen/psychische-stoerungen/patienteninformationen/angststoerungen/panikstoerung-haeufigkeit-und-ursachen/
(3) https://www.psyga.info/psychische-gesundheit/daten-fakten
(4) https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/a2e357dac62be19b5050a1d89ffd8603cfdb8ef9/20201008_Factsheet.pdf
Schreib uns gerne deine Meinung!